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Kann rollstuhlgerechte Kleidung Mode inklusiver machen?

Am Fachbereich Gestaltung der FH Bielefeld konstruiert und näht Isabel Niemann individuelle und rollstuhlgerechte Kleidungsstücke. Das Ziel: Mode inklusiver machen – und dabei modern bleiben.

Seit Oktober dieses Jahres findet man auf der Seite eines großen Online-Versandhandels die neue Rubrik „Adaptive Mode“. Dahinter verbergen sich einige wenige Kleidungsstücke großer Modelabel, die für Menschen im Rollstuhl oder mit Prothesen geeignet sind. Auch am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule (FH) Bielefeld ist das Thema aktuell: Mode-Studentin Isabel Niemann entwirft dort im Rahmen eines Kooperationsprojektes rollstuhlgerechte Kleidungsstücke für Spielerinnen und Spieler der Rollstuhlmannschaft des DSC Arminia Bielefeld.

„Als Fußgängerin musste ich natürlich erst einmal viel lernen“, sagt die Mode-Studentin. Bei ihrer Recherche erfährt sie nicht nur viel über individuelle Bedürfnisse, sondern stößt bereits zu Anfang auf ihre erste Hürde: Da es keine sitzenden Schneiderbüsten gibt, an denen sie ihre Entwürfe drapieren kann, musste sie sich zunächst ihre eigene, sitzende Puppe konstruieren.


Drückende Gürtelschlaufen beim Wheelsoccer

Ursprung der Zusammenarbeit ist eine Kooperation zwischen dem DSC Arminia und dem Fachbereich Gestaltung der FH Bielefeld. In einem Seminar nähen Mode-Studierende aus ungenutzten Merchandise-Artikeln des Vereins neue Kleidungsstücke, die Mode, Fankultur und Fußball neu denken sollen. Isabel Niemann, die eigentlich mit Fußball „wenig Berührungspunkte“ hat, war bei dem ersten Treffen mit Arminia beeindruckt, welchen hohen Stellenwert die soziale Verantwortung für den Verein hat. „Mir ist bewusstgeworden, dass Fußball mehr ist als ein Wettkampf zwischen verschiedenen Mannschaften“, so die Studentin.

 

 

Sie nahm Kontakt zur Inklusionsabteilung von Arminia auf und landete schließlich bei der Rollstuhlmannschaft. Niemann wurde zum „Wheelsoccer“-Training eingeladen und durfte direkt mitspielen – natürlich im Rollstuhl. „Drückende Gürtelschlaufen, zu enge und kurze Ärmel, die Hose ist vorne auf einmal zu hoch und hinten zu tief – beim Mitspielen merkte ich schnell, wie unbequem und ungeeignet meine Alltagskleidung in einer Sitzposition ist“, so Niemann.

Austausch zwischen Rollstuhlfahrenden und Fußgänger*innen

Doch wie genau sieht adaptive, also sich anpassende Kleidung aus? Was ist wichtig, was muss vermieden werden? Bei der Entwicklung ihrer Entwürfe halfen ihr Gespräche mit den Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern, aber auch mit Eltern der Sportler und Sportlerinnen. Niemann: „Verschlüsse am Rücken oder Kleidung, die von Pflegenden nicht schnell an- und ausgezogen werden kann, sind schwierig. Besser geeignet sind beispielsweise Schnitte, die sich seitlich öffnen lassen.“ Mit einigen Spielerinnen und Spielern blieb Isabel Niemann in engem Kontakt und fertigte in den vergangenen Wochen erste Prototypen auf Grundlage ihrer Wünsche und Bedürfnisse an.

Keine Nähte am Rücken

Eine der Sportlerinnen, die Isabel Niemann beratend zur Seite steht, ist Klara Kampmann. Die 22-Jährige studiert Soziale Arbeit an der FH Bielefeld und ist seit mehreren Jahren in der Rollstuhlmannschaft aktiv. Für sie sind viele Standardschnitte ein Problem: „Hosen und Kleider sind entweder zu kurz oder zu lang, es gibt keine Zwischengrößen. Wintermäntel sind entweder so dick, dass man als Rollstuhlfahrer schlecht darauf sitzen kann oder so dünn, dass man schon wieder friert“.

Viele Aspekte also, die Isabel Niemann für ihre Schnitte und Stoffauswahl berücksichtigen muss: „Ich versuche auf Nähte im Rückteil oder am Gesäß zu verzichten, um Druckstellen zu vermeiden und Oberteile so zu konstruieren, dass die Ärmel nicht zu weit sind und an den Rädern schleifen.“ Außerdem testet sie derzeit verschiedene Magnetverschlüsse als Alternative: „Diese sind leichter zu öffnen als ein Reißverschluss oder Druckknöpfe und könnten an verschiedenen Stellen verwendet werden, beispielsweise um Magensonden oder Stoma-Beutel unterzubringen“, so Niemann.

Rollkragenpullover mit Öffnung für einen Beatmungsschlauch und Halb-Cape als Überwurf

Mit einer Software konnte Isabel Niemann ihre Schnitte zunächst an digitalen, sitzenden Avataren virtuell anprobieren. Jetzt kamen Klara Kampmann, Josephine Otto, Till Keller und Kai Kramer auch für die erste „richtige“ Anprobe am Fachbereich Gestaltung vorbei.

Für Josephine Otto entwarf Isabel Niemann einen Rollkragenpullover mit einer Aussparung für ihren Beatmungsschlauch. „Ich kann nicht einfach in einen Laden gehen und mir einen Pullover aussuchen“, erklärt Josephine Otto. Ergänzt wird das Oberteil durch austauschbare und leicht zu reinigende Stoffadapter, die um die Öffnung am Hals gelegt werden. „Toll wäre noch eine Abdeckung für mein Beatmungsgerät, das darf nämlich nicht nass werden. Fertig zu kaufen gibt es sowas nicht“, sagt Josephine Otto. Isabel Niemann nickt und macht sich Notizen.

An der Schneiderpuppe neben dem rot-blauen Pullover hängt ein beiges Cape mit neon-gelben Stickereien. Ohne Rückenteil, dafür mit Kapuze. „Der ist ja total warm“, sagt Till Keller überrascht, als er das Cape drüberzieht. Kein Wunder, auf der Rückseite ist der Überwurf mit schwarz-blaue-weißen Arminia-Fanschals gefüttert. Das ist wichtig, denn bei vielen Rollstuhlfahrern kühlen die Beine schnell aus. Der Clou an dem Cape: Es kann einfach und schnell über den Kopf gezogen werden, ohne dass sich die Person im Rollstuhl viel bewegen muss.

Wunsch nach Design statt langweiliger Rehakleidung

Bei ihrer Recherche wurde Isabel Niemann auf ein weiteres Problem aufmerksam: Viele adaptive Kleidungsstücke erinnerten sie eher an langweilige Rehakleidung, es gibt wenig „Fashion“. Niemann: „Natürlich möchte auch ein 18-jähriger Rollstuhlfahrer eine moderne und passende Jacke oder coole Sneaker haben. Ich glaube, das ist für uns alle nachvollziehbar.“ Ihre Entwürfe sollen daher immer auch modern und nicht nur praktikabel sein.

Noch ein Knackpunkt sind die die Kosten. „Individuelle Kleidung ist teuer. Manchmal hat man Glück und große Label entwerfen Kleidung, die zufällig adaptiv ist und daher nicht die Welt kostet.“, erklärt Kai Kramer. „Aber bei individueller Kleidung ist eine Finanzierung durch die Krankenkasse wichtig – und das ist leider selten der Fall.“

Problem: „Wie kann Mode helfen, Probleme zu lösen?“

Philipp Rupp, Mode-Professor und Initiator der Kooperation mit Arminia, sieht zwischen Mode, Sport und Inklusion eine logische Verbindung: „Mode zu lehren heißt für mich auch, Studierende dazu anzuregen, forschend zu gestalten: Wie kann Mode helfen, Probleme zu lösen? Ich hoffe, dass die Erfahrungen aus dem Seminar die Studierenden ermutigen, bei zukünftigen Entwürfen möglichst viele Menschen mitzudenken.“ Isabel Niemann stimmt zu. Sie will das Projekt nutzen, um möglichst viel über adaptive Mode zu erfahren: „Mode sollte für alle da sein.“ (she)

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